Nerven aus Stahl
Kann man nervöse und schreckhafte Pferde ruhig füttern?
Pferde drücken Unwohlsein und Schmerzen nicht selten mit Reaktionen aus, die dem Reiter Angst machen können oder einfach nur ärgern. Wenn Pferde betont schreckhaft, nervös, unkonzentriert und fast schon durchgedreht reagieren, können eine fast unüberschaubare Zahl von Gründen vorliegen.
Abgesehen von Problemen mit dem Sattel, dem Zaum oder dem Hufbeschlag können Pferde unter eingeklemmten Nerven, Blockaden, Zahnschmerzen oder chronischen Krankheiten leiden. Da Pferde sich nicht anders mit uns verständigen können, wenn sie sich unwohl fühlen oder sogar Schmerzen haben, äußern sie sich auf eine Art und Weise, die bei uns meist zunächst auf Unverständnis stößt.
Ein weiterer Grund für übermütiges Verhalten, wie man es sehr oft im Frühling erleben kann ist ein Mangel an Bewegungsfreiheit. Die Freude an der Sonne und der guten Luft verleiten Pferde zu heftigen Reaktionen, die zwar vom Reiter schwer zu händeln sind, aber keine Erkrankung oder ähnliches darstellen.
Im Winter hingegen sind es oft durch die Kälte eintretende Spannungszuständen, die dann durch Bocken und Unwilligkeiten zum Ausdruck gebracht werden.
Eine weitere Ursache, aufgrund derer Pferde überreagieren, kann in einer unangepassten Fütterung liegen.
Nervosität durch Nährstoffmangel?
Dass Nährstoffmängel sich als Erstes zunächst in der Psyche zeigen, hat der mehrfache Nobelpreisträger Linus Pauling bereits um 1950 postuliert. Die Richtigkeit dieser Behauptung wurde bereits beim Menschen schon lange bestätigt.
So führt beim Menschen ein Vitamin C - Mangel zu Gleichgültigkeit, Änderungen der Persönlichkeit bis hin zur Depression. Der Mangel an Vitaminen des B - Komplexes führte zu nervlichen Störungen bis hin zu Suizidversuchen.
Der Magnesiummangel geht einher mit Angstattacken und Schweißausbrüchen und der Mangel an Zink führt im Endstadium zur Schizophrenie. Da man Pferden nicht so einfach in das Seelenleben schauen kann, kann man nur theoretische Parallelen ziehen.
Nährstoffimbalancen durch unausgewogene Futterrationen
Zu wenig Raufutter oder schlechte Raufutterqualitäten, zu hohe Getreidemengen, zu hohe Eiweißzulagen oder Silagefütterung können zu erheblichen nervlichen Störungen beim Pferd führen:
1. Eine zu geringe Menge an Heu in der Fütterung (unter 1 Kg/100kg LM) führt durch zu geringe Speichelbildung zu einer zu geringen Bildung von Natriumhydrogencarbonat, einem basenbildenden Salz, das sehr wichtig für die körperliche Entsäuerung ist. Ein saurer Stoffwechsel führt zu Reizbarkeit, Missmutigkeit und Verspannungen. Die Verspannungen wiederum führen zu Schmerzen.
2. Überhöhte Getreidemengen (mehr als 4 bis 6 Kilogramm pro Tag) und damit eine hohe Stärkezufuhr führen langfristig zu einer erhöhten Ausschüttung von Cortisol ins Blut. Hohe Cortisolspiegel im Blut können allgemein Nervenschädigungen sowie Störungen von Stimmung und Gedächtnis hervorrufen. Auch führen zu hohe Anflutungen von Getreidestärke im Dickdarm des Pferdes zur Bildung von Stoffwechselbausteinen, Verschiebungen der Bakterienflora, Dickdarmübersäuerungen und Blähungen, die Schmerzen verursachen oder sogar zu Hufrehe führen können.
3. Zu hohe Mengen an Eiweiß, die im Dünndarm nicht resorbiert werden, können im Dickdarm durch Bakterien umgesetzt werden. Zu hohe Eiweißmengen werden eher durch unkontrollierten Koppelgang als durch zu hohe Kraftfuttermengen aufgenommen.
4. Durch die endogene und exogene Zufuhr von sogenannten biogenen Aminen können sowohl narkotisierende also auch zur geistigen Verwirrtheit führende Wirkungen entstehen.
Endogene, also durch Fehlgärungen im Rahmen der Verdauung entstehende biogene Amine, wie Histamin, Cadaverin, Putrescin oder Tyramin haben eine gewisse Verwandtschaft mit bewusstseinsverändernden Drogen. Sie können zu extremen Verspannungen und auffälligem Verhalten führen.
Diese Stoffe werden exogen auch durch Fermentation von Eiweiß grundsätzlich in Silage und Heulage gebildet. Aber auch in qualitativ schlechtem Heu, Stroh oder auch Getreide können durch Fehlgärungen biogene Amine entstehen. Der Abbau von biogenen Aminen eerfolgt ausschließlich über die Leber. Biogene Amine sind weder durch Hitze, Licht oder andere Möglichkeiten zersetzbar.
Imbalancen in der Nährstoffzufuhr führen immer zu einer Schädigung der Darmflora. Deren Intaktheit allerdings ist die Gewähr für die ausreichende körpereigene Bildung von B-Vitaminen, deren Wirkung auf die Psyche von allergrößter Bedeutung sind.
Schimmel im Grundfutter als Auslöser für Nervenkrankheiten
Schlechte Heu- und Getreidequalitäten können mit Schadpilzen, -hefen oder -bakterien kontaminiert sein, die ihrerseits Stoffwechselprodukte entwickeln, die die Nerven des Pferdes schädigen können. Besonders der Hafer leidet am ehesten unter Schimmelpilzbefall und ist möglicherweise auch aus diesem Grunde oft als Auslöser nervösen Verhaltens verschrien.
Mit Schimmelpilzen, Milben oder Bakterien kontaminierte Futtermittel schädigen nicht nur den Verdauungstrakt und das Immunsystem. Ihr Abbau über die Entgiftungsorgane bleibt meist nicht ohne Folgen. Kontaminiertes Futter, eine langfristig zu hohe Eiweißfütterung, Fettleibigkeit oder Infektionen können zu einer Schwächung der Entgiftungsorgane wie Leber oder Nieren führen. Arbeiten diese Entgiftungsorgane nicht mehr zuverlässig, gelangen Giftstoffe und Stoffwechselprodukte, die eigentlich entledigt werden sollten, nicht mehr aus dem Blut und können teilweise das Gehirn und damit auch die Wahrnehmung der Umwelt in Mitleidenschaft ziehen. Konzentrationsstörungen und aggressives Verhalten bis hin zu sonderbarsten Reaktionen sind die Folge.
Nervös durch Vitaminmangel?
Pferde im Leistungsport benötigen mehr Vitamine der B-Gruppe, insbesondere die außerordentlich wichtigen nervenstabilisierenden Vitamine B1 und B6. Der Mangel an Thiamin, wie Vitamin B1 auch genannt wird, kann zu Verwirrtheit, Bewusstseinstrübung bis hin zur Desorientiertheit führen. Reich an Vitamin B1 ist sind vor allem Hefe, Kleien und hier vor allem die Reiskleie. Allerdings hängt der Thiaminstoffwechsel über Umwege vom Spurenelement Mangan ab.
Eine besondere Stellung unter den B -Vitaminen nimmt Vitamin B12 ein. Für seine Bildung ist das Spurenelement Kobalt nötig, das durch die Ernährung zugeführt werden muss. Ein Mangel an Vitamin B12 führt zu einem gestörten Aufbau der Nervenzellmembranen, der zu erheblichen Nervenfunktionsstörungen bis hin zu unklaren Verwirrtheitzuständen und Demenz führen kann.
Vitamin B6, ebenfalls reichlich in Hefe, Reiskleie und Getreidekeimen enthalten, gehört zu den unentbehrlichen Helfern, wenn es um die Umwandlung von Tryptophan in Serotonin geht. Serotonin ist ein Nervenhormon und wird gerne landläufig als Glückshormon bezeichnet. Vitamin B6 arbeitet Hand in Hand mit Zink bei verschiedenen psychischen und neurologischen Störungen. Eine ausreichende Versorgung mit B-Vitaminen beim Pferd basiert zum einen auf einer gesunden Darmflora und auf eine ausreichende Zufuhr an Aktivatoren, sprich in diesem Fall Spurenelementen.
Magnesium „schmiert“ die Nerven
Stresssituationen, Wachstum, Training oder Ausbildung, sowie eine nicht bedarfsgerechte Mineralfuttersituation können einen Magnesiummangel auslösen. In den großen Aufgabenbereich des Magnesiums fällt die Herabsetzung der Erregbarkeit von Muskeln und Nerven.
Ein Mangel an Magnesium führt so zu Angst, Verspannungszuständen und Nervosität. Das Mengenelement Magnesium ist zwar reichlich in Leinsamen und Weizenkleie enthalten, da es sich aber um ein Mengenelement handelt ist der Bedarf oft nicht wirklich gedeckt. Siehe dazu auch Mg Magnesium.
Nicht selten tritt ein Mangel bei jungen Pferden auf, wenn sie die ersten Male unter dem Sattel sind, das erste Mal verladen werden oder der erste Turniereinsatz ansteht. Die neuen Eindrücke führen zu einem erheblichen Anstieg des Magnesiumsbedarfs. Durch einen Anstieg des Adrenalinspiegels wird die Lipolyse (Fettverbrennung) wird in Gang gesetzt. Freie Fettsäuren verbinden sich irreversibel mit Magnesium und führen so zusätzlich zu Verlusten.
Angst und Verspanntheit führen oft zu Bestrafungen, die dann wiederum zu Stress und einem weiteren rapiden Abbau von Magnesium führen. Daher macht neben einem stressfreien Umgang eine prinzipielle Erhöhung der Magnesiumzufuhr bei jungen Pferden Sinn.
Mangan macht Mut und Zink wirkt gegen böse Geister
Geistersehen, Sehstörungen, Fehleinschätzungen sind klassische Symptome eines Zinkmangels. Das Auge benötigt große Mengen an Zink, so dass ein Mangel zu krassen visuellen Fehleinschätzungen sowie Nachtblindheit oder dem Angst vor dem eigenen Schatten führen kann.
Zu den völlig unterschätzten Spurenelementen, insbesondere für das Nervensystem, gehört Mangan. Auch wenn der Bedarf durch eine Heufütterung gedeckt sein soll, weisen immer mehr Blutuntersuchungen bedenklich niedrige Manganwerte auf. Ein Mangel an Mangan behindert die Umsetzung von Vitamin B1 und provoziert so sekundär ein nervliches Problem.
Ein Manganmangel führt zu Verspannungen in der Muskulatur und hemmt die Regeneration des Bindegewebes. Dadurch können Muskelverpannungen, Blockaden aber auch Gelenksdeformationen entstehen, die wiederum zu Schmerzen und damit zu unkalkulierbarem Verhalten führen.
Kräuter als Nervenfutter
Kräuter wie Baldrian, Hopfen, Majoran, Melisse, Lavendel oder Johanniskraut haben eine gute nervenberuhigende Wirkung, die mittlerweile als bestätigt gilt. Eine Fütterung mit diesen Kräutern sollte erst dann erfolgen, wenn die Fütterung bereits bedarfsgerecht erfolgt und Mangelsituationen ausgeglichen wurden. Die Fütterung hochkonzentrierter Kräuter und Pflanzenstoffe zur Förderung der Leber- und Nierenfunktion ist fürs Erste der bessere Weg und kann in vielen Fällen rasch zu einem Umschwenken der Gemütsverfassung führen.
Prinzipiell kann man feststellen, dass eine nährstoffbilanzierte und bedarfsgerechte Fütterung, sowie ein nutritiver Ausgleich von Nährstoffmängeln zu einer raschen Besserung des Befindens des Pferdes führt, wenn nicht ursächlich Schmerzen vorliegen.
Übermut und Lebenslust sind kein Nervenproblem
Übermut und Kraftüberschüsse kann man bremsen, indem man die Pferde bei bedarfsgerechter Mineralisierung (z.B. Nr. 28 Sandmann) täglich mindestens eine Stunde ausreichend arbeitet oder vor dem Reiten ablongiert und die Getreideration, vor allem den Hafer, deutlich herabsetzt oder sogar streicht. Hafer kann durch Gerste, Kleie, Zuckerrübenschnitzel, Mais, oder durch Raufutter, Öle oder Raufutterersatzprodukte ersetzt werden, zumindest so lange, bis wieder eine gewisse Normalität eingetreten ist.
Foto: Adope Stock Datei-Nr.: 255502841 RD-Fotografie
©Christiane Slawik
Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand 2011 überarbeitet 2024 ©